„Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.“ Dieses Wort aus dem 145. Psalm ist in der Evangelischen Kirche der Wochenspruch für das Erntedankfest. Es spricht vieles an, was mitschwingt, wenn wir an „Ernte“ denken. Es ist ein Wort des Dankes, der sich an Gott richtet.
An Gott? Warum eigentlich? Viele Menschen sind doch heute der Meinung, dass es in erster Linie auf einen selber ankommt, was man schafft und erreicht. Freilich hat man nicht alles selber in der Hand. Diese Erfahrung hat auch jeder Mensch schon gemacht. Man hat eben Glück oder Pech gehabt.
So kann man die Dinge freilich auch sehen. Doch nicht alle bleiben dabei stehen. Sie fragen weiter: Was steht den hinter dem allen? Sie fragen über die Antworten hinaus, die wir uns als Menschen selbst geben können.
Ernte – das ist so ein Anlass, über das hinaus zu fragen, was wir uns selbst sagen können. Denn bei allem Bemühen, bei allem menschlichen Einsatz und all unserem Wissen müssen wir doch feststellen, dass es eben nicht allein in unserer Hand liegt, ob wir eine Ernte einbringen können. Gerade die beiden letzten Jahre mit ihrer Dürre und Trockenheit können uns darauf aufmerksam machen, dass unser Leben in die Natur eingebunden ist. Menschen sind zwar gut darin, Dinge in Unordnung zu bringen, aber recht schlecht darin, die gute Ordnung wiederherzustellen. Das gilt meiner Meinung nach im Großen wie im Kleinen.
„Aller Augen warten auf dich“ – wer so betet, der erwartet etwas von Gott. Wer so betet, weiß auch, wem er etwas zu verdanken hat. Er weiß, dass es eben nicht nur an unserem Wollen und Vollbringen liegt, ob wir das haben, was wir zum Leben brauchen. Wer so betet, hat ein Gespür dafür, dass er in dieser guten Ordnung des Lebens steht und dass er ein Empfangender ist.
Wir Menschen sind Empfangende, wenn es um das geht, was wir zu einem wahrhaft guten Leben brauchen. Das gilt für die rein materielle Nahrung genauso wie für die Nahrung im übertragenen Sinn, die wir zum wahren Leben brauchen. Ernte – so betrachtet – kann ja auch alles sein, was mir gelingt, was mich erfreut und was ich Gutes empfange. Ernte im übertragenen Sinn – dass kann jede glückliche Wendung auf meinem Lebensweg sein, jede Gemeinschaft, die mir guttut, und alles, was ich wie ein Geschenk annehmen kann.
Zu Gott zu schauen und ihm zu danken – das lässt und erkennen, dass nicht alles an unserer eigenen Kraft und unserer eigenen Anstrengung liegt. Dankbar annehmen, was mir geschenkt ist – das entlastet mich von der Anforderung, alles selbst schaffen zu müssen. Es befreit. Wenn Gott uns das gibt, was wir zum wahrhaft guten Leben brauchen, stillt das den Hunger in uns. Wie viele Menschen hungern nach Anerkennung, nach Geltung, nach Liebe oder innerem Frieden.
Gott will diesen Hunger stillen – und er tut es zur rechten Zeit. Manchmal braucht es erst die richtige Gelegenheit, dass wir erkennen können, wie nah uns Gott ist. Manchmal werden wir ungeduldig, weil wir eine schnelle Lösung haben wollen für das, was uns umtreibt. Das verengt unseren Blick, so dass wir nicht mehr dankbar auf Gott blicken, sondern skeptisch oder fordernd. Das verstellt uns die Sicht darauf, dass wir unser Leben von Gott haben, der es erhalten will und uns beschenken will – freilich nicht immer zu der Zeit und auf die Weise, wie wir es gerne hätten.
Manchmal ist es auch gut so, dass Dinge anders kommen, als wir sie planen und gestalten würden, wenn wir das Sagen hätten. Wie vieles haben wir erst entdeckt in diesem Leben, weil wir – mehr oder weniger gezwungenermaßen – einen Umweg gegangen sind.
Aller Augen warten auf dich – machen wir die Augen auf für das, was uns Gott schenkt. Machen wir die Augen auf, wie Gott uns begegnet. Spüren wir dem nach, wie Gott in unserem Leben da ist und wirkt. So können wir Zuversicht und Frieden in uns finden.
Ihr Pfarrer
Jens Arnold